Tierrechte und Realpolitik: Was können wir heute für Tiere bewirken?
Die Tierrechtsbewegung hat hohe Ziele – aber wie erreichen wir sie in der echten Welt? Dieser Frage gingen vier Expert:innen am Vortragsnachmittag «Tierrechte und Realpolitik» im November 2024 nach. Unsere wichtigsten Erkenntnisse folgen in diesem Blogpost. Dich interessiert Tierpolitik, du bist politisch für Tiere aktiv oder willst es werden? Dann lies hier unbedingt weiter!
1. Ausgangslage: Ein ungenügender Tierschutz
Es gibt verschiedene politische Hebel, die man für Tiere in Bewegung setzen kann. Um sie zu betätigen, muss man aber die Rechtslage kennen. Caroline Mulle, rechtswissenschaftliche Mitarbeiterin bei der Stiftung für das Tier im Recht, sprach deshalb über das Tierschutzrecht in der Schweiz.
Schützt die Schweiz Tiere ausreichend?
Im internationalen Vergleich hat die Schweiz ein relativ detailliertes Tierschutzgesetz. Es legt aber nur Mindestanforderungen fest – die Grenze der Kriminalität. Das heisst noch lange nicht, dass Tiere deswegen glücklich sind.
Wo ist was geregelt?
Tierschutz-Belange sind auf verschiedenen Ebenen geregelt. Grundsätzlich gilt: Der Bund gibt die Tierschutzregeln vor, die Kantone setzen sie um. Für die grundlegenden Tierschutzbestimmungen sind die Bundesverfassung, das Tierschutzgesetz und die Tierschutzverordnung wichtig. Auf der Ebene der Kantone und Gemeinden werden konkretere Dinge geregelt, zum Beispiel im Rahmen von Hundegesetzen und -verordnungen oder bei Bestimmungen zur Leinenpflicht. Wer etwas verändern will, muss die relevanten Bestimmungen gut kennen.
Was sind die wichtigsten Grundsätze?
Das Tierschutzgesetz macht Bestimmungen zum Schutz von Wirbeltieren, Panzerkrebsen und Kopffüssern – also nur für Tiere, bei denen aktuell Schmerzempfinden nachgewiesen ist. Grundsätzlich sieht das Tierschutzgesetz in der Schweiz keinen Lebensschutz vor. Es ist also erlaubt, Tiere zu töten, solange das schmerzlos und rechtskonform ist. Das Tierschutzgesetz schränkt das Zufügen von Schmerzen, Leiden, Schäden und Ängsten ein und verbietet die Missachtung der Tierwürde. Tieren und ihren Bedürfnissen ist in «bestmöglicher» Weise Rechnung zu tragen und für ihr Wohlergehen zu sorgen, «soweit es der Verwendungszweck zulässt». Das Tierschutzgesetz folgt also oft der wirtschaftlichen Praxis, nicht umgekehrt.
Wie ist Veränderung möglich?
Das Engagement für ein Importverbot für tierquälerisch erzeugte Pelzprodukte ist ein Beispiel dafür, dass politischer Einsatz oft Zeit braucht – aber sich lohnt: Seit 20 Jahren gibt es ein gutes Dutzend politische Vorstösse und Bemühungen dazu, den Import von nach Schweizer Gesetz tierquälerisch erzeugten Pelzen zu verbieten. Dieses kommt nun tatsächlich. Das zeigt: Man muss immer wieder Druck machen, verhandeln und dranbleiben.
2. Politischer Einsatz in der Praxis
In Schweizer Parteien gibt es viele Arbeitsgruppen, die sich mit bestimmten Themen befassen. Bei den Jungen Grünen gibt es die «Arbeitsgruppe Tierrechte», die 2019 auch mit Unterstützung von Animal Rights Switzerland-Mitgliedern gegründet wurde. Nadine Leuzinger und Sven Keller von der Arbeitsgruppe Tierrechte erzählten in ihrem Vortrag von ihrer politischen Arbeit für Tiere.
Was sind Arbeitsgruppen?
Arbeitsgruppen bringen Menschen mit gleichen Interessen innerhalb der Partei zusammen. Sie diskutieren ihr Thema, veranstalten Weiterbildungen oder arbeiten Positionspapiere aus. Bei den Jungen Grünen sind die Arbeitsgruppen schweizweit organisiert, was die Zusammenarbeit über die Regionen hinweg fördert.
Was hat die AG bisher so gemacht?
Die Arbeitsgruppe Tierrechte hat bisher:
- Recherchen zu diversen Tierthemen durchgeführt
- das Parteiprogramm mitgeschrieben
- sich mit Parlamentarier:innen zu Vorstössen ausgetauscht
- Inputs an der Mitgliederversammlung zu Tierthemen eingebracht
- zwei Bildungstage durchgeführt
- eine Postreihe für Social Media erstellt
Wie kann man mitmachen?
Es gibt eine WhatsApp-Gruppe, in die man beitreten kann. Dort gibt es Informationen über Projekte und Veranstaltungen. Hier erfährst du, wo du dich melden kannst.
3. Strategisch planen
Politische Erfolge kommen nicht von ungefähr, sondern erfordern Strategie, Planung und vor allem Verhandlung. Felix Wirz, Geschäftsführer von politimpuls, sprach darüber, welche Faktoren erfolgreiche realpolitische Arbeit ausmachen.
Wen muss man überzeugen?
Grundsätzlich dreht sich im politischen Betrieb alles um Gesetzesänderungen. Um Änderungen zu erreichen, braucht es Mehrheiten: die Zustimmung von vier Bundesrät:innen, 100 Nationalrät:innen, 23 Ständerät:innen und bei Volksabstimmungen mehr als 50% der Stimmenden. Deshalb gilt: Die Einreichung eines Geschäfts ist nur der erste Schritt – viel wichtiger ist die Begleitung danach. Man muss auch Leute überzeugen können, die sehr anders denken.
Welche Vorarbeit ist nötig?
Es ist wichtig, sich konkrete Ziele zu setzen – möglichst in Form von expliziten Gesetzesartikeln. Mit einem unklaren Anliegen ist es sehr schwer, Politiker:innen zu überzeugen. Je nach Vorhaben macht es zudem Sinn, sich Teilziele zu setzen – insbesondere, wenn Mehrheiten sonst nicht realistisch sind.
Was ist bei der Kooperation zu beachten?
Wenn immer möglich, sollten Veränderungen über Kooperation angestossen werden, indem die Interessen von Politiker:innen und Verwaltung berücksichtigt werden. Zuhören ist oft wichtiger als Reden. «Ideologische», also verbohrte Argumentation nützt meist wenig. Man muss zum Gespräch bereit sein, auch wenn man die Meinung nicht teilt. Initiativen sind gewissermassen das Gegenteil: Sie wollen Änderungen gegen den Willen von Politik und Verwaltung durchsetzen.
4. Eine Strategie: Volksinitiativen
Volksinitiativen sind ein Mittel, die Politik zu bewegen – und sie sind noch viel mehr. Philipp Ryf, Geschäftsleiter von Sentience, erzählte am Vortragsnachmittag, wie Initiativen wirken.
Was ist eine Volksinitative?
Eine Volksinitiative ist ein politisches Instrument, mit dem Bürger:innen eine Änderung der Bundesverfassung vorschlagen können. Dafür müssen 100’000 Unterschriften gesammelt werden. Danach stimmt das Volk darüber ab. Die Unterstützung von Initiativen im Tierschutzbereich ist wichtig, auch wenn sie schlussendlich nicht angenommen werden. Initiativen haben verschiedene Funktionen:
Wozu sind Initiativen gut?
Initiativen können vier Funktionen haben und eingesetzt werden als…
- Ventil
- Mobilisierung
- Schwungrad/Verhandlungspfand
- Katalysator
Initiativen als Ventil: Die «primäre» Funktion ist die Annahme der Forderung. Damit kann das Monopol des Bundes durchbrochen werden. Meist werden Volksinitiativen jedoch abgelehnt.
Initiativen als Mobilisierung: Dieser Effekt wird besonders von politischen Parteien vor Wahlen genutzt. Mit einer Volksinitiative können sie öffentliche Aufmerksamkeit erzeugen, die Mitglieder mobilisieren und den internen Zusammenhalt stärken.
Initiativen als Schwungrad/Verhandlungspfand: Initiativen können strategisch so lanciert werden, dass sie «nur» indirekte Erfolge zu erzielen. Als Schwungrad wirken sie, wenn sie Teilforderungen bekannt machen, die später an anderen Stellen wieder aufgenommen werden. Eine Initiative kann auch als Verhandlungspfand eingesetzt werden, etwa, wenn sie auf einen Gegenentwurf abzielt. Die Durchführung einer Initiative ist für den Bund nämlich aufwändig – wenn es ohne geht, ist das der Regierung manchmal lieber.
Initiativen als Katalysator: Initiativen können die Bekanntheit eines Anliegens erhöhen und ein Thema neu im öffentlichen und politischen Diskurs platzieren. So kann man Kräfte mobilisieren und Leute sensibilisieren. Solche Initiativen sind aber oft ihrer Zeit voraus und werden als radikal wahrgenommen.
Werde auch du politisch für Tiere aktiv! Wie, erfährst du im Tierrechte-Starterkit.