Gemeinsame Medienmitteilung: Tierversuchsstatistik 2023
MEDIENMITTEILUNG • 17. September 2024
Gemäss der heute veröffentlichten Tierversuchsstatistik 2023 ist die Zahl der eingesetzten Versuchstiere im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen. Sie bewegt sich seit vielen Jahren auf ähnlichem Niveau. Tierschutzorganisationen sehen weiterhin Handlungsbedarf und fordern einen Ausstiegsplan aus belastenden Tierversuchen. Auch Ständerätin Maya Graf hat diese Forderung kürzlich in einem Vorstoss aufgegriffen.
2023 wurden in der Schweiz 595’305 Tiere in Tierversuchen eingesetzt. Das sind 1.6 Prozent mehr als im Vorjahr. Mehr als die Hälfte dieser Tiere wurde einer Belastung (Schweregrade 1-3) ausgesetzt. Die Zahl der Tiere in höchstbelastenden Versuchen (Schweregrade 2 und 3) stieg dabei im Vergleich zum Vorjahr um rund 5 Prozent an. Trotz gesetzlicher Vorschriften, einem 3R-Kompetenzzentrum und einem nationalen Forschungsprogramm bewegen sich die Tierversuchszahlen damit seit über 25 Jahren auf ähnlich hohem Niveau und betreffen allein in der Schweiz rund 600’000 Tiere pro Jahr. «Es fehlt eine Strategie, die tierfreien Methoden zum Durchbruch verhilft», monieren die vier Tierschutzorganisationen Animalfree Research, Animal Rights Switzerland, Stiftung für das Tier im Recht (TIR) und Zürcher Tierschutz.
Ausstiegsplan kann Wende bringen
Mit der Petition «Forschungsplatz Schweiz sichern» haben im April über 40’000 Personen und zahlreiche Organisationen die Forderung nach einem verbindlichen Ausstiegsplan in Bundesbern eingereicht. Sie wurde im Juni durch eine parlamentarische Initiative von Ständerätin Maya Graf (Grüne/BL) untermauert. Anstatt mit Verboten zu drohen, bietet ein Ausstiegsplan die Möglichkeit, zielgerichtet auf ein Ende belastender Tierversuche hinzuwirken. Stefan Kunz von der Stiftung Animalfree Research bringt es auf den Punkt: «Der Wunsch, etwas am Status Quo zu ändern, wird regelmässig von Forschung, Industrie und Politik geäussert. Vor konkreten Schritten schreckt man jedoch zurück. Ein Ausstiegsplan soll alle relevanten Akteure an Bord holen und deutlich machen, dass der Ausstieg nicht auf ewig hinausgezögert werden kann.»
Schwerstes Tierleid hinter den Kulissen
Wie die neusten Zahlen zeigen, ist eine Trendwende dringend nötig: Die Zahl der verwendeten Versuchstiere stagniert, anstatt zu sinken. Besonders gravierend ist dabei, dass der Anteil Tierversuche der höchsten Belastungsstufe (Schweregrad 3) weiterhin sehr hoch ist. Es wurden zwar 640 Tiere weniger eingesetzt, doch ist die Zahl mit 26’390 Tieren immer noch eklatant hoch. Zur Erinnerung: Im Jahr 2014 litten 12’285 Tiere unter Höchstbelastungen und damit weniger als halb so viele wie 2023. Insgesamt leidet ein Drittel der Tiere stark (SG 2, 165’525 Tiere) oder sehr stark (SG3, 26’390), wobei Mäuse und Ratten sowie Fische am häufigsten betroffen sind. Nadja Brodmann vom Zürcher Tierschutz findet klare Worte: «Es ist unvorstellbar, wie viel Schmerz, Angst und Stress die Labortiere in den hoch- und höchstbelastenden Versuchen ertragen müssen. Die Erkenntnisse, die unter solchen Qualen gewonnen werden, sind äusserst fragwürdig. Es braucht daher dringend tierfreie Alternativen, den Tieren und dem wissenschaftlichen Fortschritt zuliebe.»
Tierproduktion auf Vorrat
Um möglichst reproduzierbare Ergebnisse zu erhalten, werden Tierversuche unter standardisierten Bedingungen durchgeführt. Dies betrifft auch die Tiere: Sie werden auf Vorrat gezüchtet, um stets Tiere desselben Alters, Geschlechts, Gewichts und Genotyps zur Verfügung zu haben. Jene Tiere, die den Anforderungen der Experimente nicht genügen oder überzählig sind, werden als sogenannte «Überschusstiere» getötet. Die statistischen Daten lassen darauf schliessen, dass die Zahl dieser «Überschusstiere» jene der tatsächlich in Versuchen eingesetzten Tiere im Jahr 2023 – wie auch in den Vorjahren schon – deutlich übertraf. Andreas Rüttimann von der Stiftung für das Tier im Recht (TIR) kritisiert die routinemässige Einkalkulierung und anschliessende Tötung: «Die Tiere werden als Forschungsmaterial angesehen und ihr Tod als Begleitschaden der experimentellen Tätigkeit in Kauf genommen. Dem gesetzlich verankerten Schutz der Tierwürde wird damit in keiner Weise Rechnung getragen.»
Grundlagenforschung: Umstieg auf Alternativen nötig
Ebenfalls brisant: Ein Grossteil der Versuche – rund 55 Prozent – dient der Grundlagenforschung. Es geht also nicht um einen direkten Praxisnutzen, wie etwa das Testen eines potenziell lebensrettenden Wirkstoffes, sondern um das Verständnis biologischer und medizinischer Zusammenhänge. Nicolas Eichenberger, Vorstandsmitglied von Animal Rights Switzerland, sieht das kritisch: «Wir investieren jährlich Steuermillionen in tierbasierte Forschung, in der Hoffnung, dass sie Menschen in ferner Zukunft etwas bringt. Dabei vernachlässigen wir aber tierfreie Methoden, die ebenso viel oder mehr Nutzen haben könnten.» Er fordert, dass der Bund eine griffige Strategie erarbeitet, um tierfreie Methoden in der Grundlagenforschung besonders zu fördern.
Politischer Wille ermöglicht Systemwandel
Die neuesten Tierversuchszahlen belegen, dass das 3R-Prinzip in einer Sackgasse steckt. Nur ein klares Bekenntnis der Politik zu tierfreien Methoden und einem schrittweisen Ausstieg aus belastenden Tierversuchen wird längerfristig zum Ziel führen, das Tierleid zu stoppen. Dies bedingt eine konsequente Förderung von Alternativmethoden und klare Meilensteine, welche Versuche bis wann zu ersetzen sind. Solch ein Systemwandel stellt eine Investition in die Zukunft dar und bietet der Schweiz die Chance, sich weltweit als innovativer Forschungsplatz zu etablieren.
Medienkontakte
Nicolas Eichenberger
Vorstandsmitglied
Animal Rights Switzerland
medien@animal-rights-switzerland.ch
Stefan Kunz
Leitung Information und Recht
Stiftung Animalfree Research
kunz@animalfree-research.org
Andreas Rüttimann
Rechtswissenschaftlicher Mitarbeiter
Stiftung für das Tier im Recht (TIR)
ruettimann@tierimrecht.org
Nadja Brodmann
Mitglied der Geschäftsleitung
Zürcher Tierschutz
nbrodmann@zuerchertierschutz.