Auf in den Nationalrat: Interview mit Anna-Béatrice Schmaltz
Sie ist in verschiedenen sozialen Bewegungen aktiv und politisiert als GRÜNE Gemeinderätin der Stadt Zürich: Anna-Béatrice Schmaltz. Nun kandidiert sie im Kanton Zürich für den Nationalrat. Nebst ihrem Engagement für Umwelt-, feministische und queere Anliegen hat sie ein Herz für Tiere, ist langjähriges Mitglied bei Animal Rights Switzerland und gibt im Interview Antworten auf unsere Fragen.
Animal Rights Switzerland: Liebe Anna, schön, dass du beim Interview dabei bist! Draussen regnet es gerade stark, eine Hitzewelle ist zu Ende. Was ist dir lieber – Sonne oder Regen?
Um etwas zu unternehmen oder zu wandern, ist Sonne sicher cooler, aber nicht die krasse Hitze. Die extremen Wetterverhältnisse sind beängstigend und zeigen, dass die Klimakrise immer mehr Realität und Teil von unserem Alltag wird.
Du setzt dich ja genau in diesem Bereich ein.
Ja, ich engagiere mich schon seit über 10 Jahren in allen möglichen Bewegungen: Für eine solidarische, gewaltfreie und klimagerechte Zukunft. Ich bin seit langem bei verschiedenen Naturschutzvereinen dabei und habe schon als Kind WWF- und Pro Natura-Heftli verteilt. Da ich kein Fleisch esse und mich möglichst vegan ernähre, habe ich auch den Tierschutz auf dem Schirm.
Nun bist du Nationalratskandidatin im Kanton Zürich. Was hat dich dazu gebracht, zu kandidieren?
Seit über fünf Jahren bin ich bei den Jungen Grünen und den GRÜNEN aktiv, seit über einem Jahr Mitglied im Gemeinderat der Stadt Zürich und auch Präsidentin der Grünen Stadt Zürich. Die Kandidatur ist eine gute und spannende Chance, meine Themen zu platzieren und sie aktiv einzubringen.
Wie würdest du dich als Nationalrätin in Sachen Tiere engagieren?
Ein Thema, das mir sehr am Herzen liegt, ist die Erhaltung der Biodiversität. Ein Drittel der Arten und die Hälfte der Lebensräume sind in der Schweiz gefährdet. Es braucht unbedingt mehr Ressourcen, um diese zu erhalten.
Spannend fände ich auch die Einführung von einem Tieranwalt bzw. einer Tieranwältin. Das war damals eine meiner ersten Volksabstimmungen, die ich mitverfolgt habe, aber noch nicht abstimmen konnte. Heute sind wir ja weiter als vor 10, 13 Jahren, dann könnte man das wieder anschauen.
Auch das Thema der Haltungsbedingungen in der Landwirtschaft finde ich wichtig. Die Massentierhaltungsinitiative wurde leider verloren, aber man muss unbedingt dranbleiben und in Zusammenarbeit mit den Bäuer:innen vorwärtsgehen. Selbst wenn man sagt, dass man Fleisch isst, bin ich davon überzeugt, dass die Leute nicht wollen, dass Tiere während der Haltung leiden. Dass das etwa von der SVP so stark bekämpft wurde, gibt einem zu denken.
Du hast die Bäuerinnen und Bauern erwähnt. Wo siehst du grundsätzlich Schwierigkeiten, um Tieranliegen durchs Parlament zu bekommen?
Ich bin im Kanton Uri aufgewachsen, einem ländlichen Kanton – und mit Kindern von Bäuer:innen in die Schule gegangen. Mir ist bewusst, dass es ein strenger Beruf ist, bei dem auch Existenzängste mitschwingen. Hier entsteht für viele im Parlament der Konflikt: Die «Nutztiere» müssen rentieren. Dabei sind Tiere Lebewesen, die Empfindungen haben. Das tönt nun wohl idealistisch, aber ich denke jeweils so: Wir wollen eine Zukunft schaffen, in der wir alle gut leben können. In der Landwirtschaft geht es leider häufig um kurzfristige Profite. Und nicht darum, ob jemand überleben kann. Meiner Meinung nach ist diese Politik nicht zukunftsgerichtet. Wir müssen deshalb in einen Dialog gehen und gemeinsam schauen, dass wir zusammen eine Landwirtschaft entwerfen, die für alle funktioniert. Auch für die Tiere.
Wir haben uns sehr gefreut, dass im Wahlprogramm der GRÜNEN Tierrechte als Ziel drinstehen. Das ist ja noch ein Fernziel, das die Tierrechtsbewegung fordert.
Ich bin damit absolut einverstanden, dass Tiere nicht als Sachen gelten sollen und dass sie Grundrechte brauchen. Das geht ja auch in die Richtung eines partiellen Status der Natur als Rechtssubjekt. Positiv finde ich auch, dass der demokratische Aushandlungsprozess noch offen gelassen wird. Hier braucht es einen Austausch.
Wenn man für Tierrechte ist, wird man oft als naiv abgestempelt und gefragt, ob man denn keine anderen Probleme habe. Das ist Whataboutism – Ablenken. Dabei ist es ein wichtiges und dringendes Thema. Die Gesellschaft kann verschiedene Probleme gleichzeitig angehen, man muss überall vorwärts machen.
Was für ein Potenzial siehst du in der GRÜNEN Partei, um die Aufmerksamkeit fürs Thema zu stärken?
Ein wichtiger Punkt ist die Verknüpfung der Klimakrise mit der Haltung von «Nutztieren», Stichwort Methanausstoss. Auch für den Anbau von Futtersoja und -mais verbraucht viel Platz. Ich finde es wichtig, dass man diese Verknüpfungen macht. Auch sonst sind Zusammenhänge wichtig.
Wenn du gerade sagst, dass man Anliegen miteinander verknüpfen soll: Du hast am Tierrechtskongress im Mai einen Vortrag zu Intersektionalität gehalten. Wo siehst du Verknüpfungen zwischen den Bewegungen?
Ich finde es wichtig, dass man auch thematisiert, wer in Schlachthäusern arbeitet. Das sind vielfach migrantisierte, rassifizierte Menschen, die wenig Lohn haben. Sie arbeiten unter stressigen und belastenden Bedingungen. Es ist wichtig, dass soziale Bewegungen sich zusammenschliessen, etwa die Klima-, die Tierrechts- oder die antirassistische Bewegung.
Man sollte auch in der Tierrechtsbewegung selbst reflektieren: Was sind unsere Privilegien? Wer spricht? Wen bilden wir ab? Sehen wir auch mal jemanden in einem Rollstuhl, sieht man auch mal eine Schwarze Person? Es ist wichtig, dass wir an diese Sachen denken, im Austausch bleiben und uns gemeinsam einsetzen.
Ich finde es teilweise auch legitim, mit Schockbildern zu arbeiten. Man muss aber dann jeweils aufpassen, wem man sie zeigen kann und mit Triggerwarnungen arbeiten. Ihr seid ein gutes Beispiel dafür, wie man verständlich und ansprechend kommuniziert und trotzdem Dringlichkeit aufzeigt.
Was rätst du Menschen, die politisch aktiv werden wollen?
Das Coole ist: Es gibt viele soziale Bewegungen in der Schweiz und es tut sich wirklich was! Man kann überall reinschnuppern und bei Vereinen aktiv werden, z.B. bei einer Aktion von euch. Es ist auch möglich, bei der Klimajugend oder einer Partei dabei zu sein. Man kann sich fragen: Welche Themen sind mir wichtig und wie kann ich die vielleicht auch verbinden? Wo kann ich mein Wissen einbringen? Aktivismus sollte auch etwas sein, für was man sich in der Freizeit gerne einsetzt. Am besten tauscht man sich mit Aktivist:innen aus und schaut, wo man am liebsten aktiv werden will. Ich finde klar: Es lohnt sich! Sich einzusetzen, etwas zu erreichen, neue Menschen kennenzulernen. Aktivismus gibt einem auch etwas zurück, sich in einer sozialen Bewegung oder einem Verein einzusetzen ist sehr bereichernd. Es braucht aber auch einen guten Ausgleich und man hat immer das Recht, sich mal zurückzuziehen.
Wie bist du zum Aktivismus gekommen?
Im Kanton Uri hatte ich schon früh viele Berührungspunkte mit Unwettern, Erdrutschen und Überschwemmungen. Auch mit dem Gotthard und der Autobahn sind Umweltthemen sehr präsent gewesen. So habe ich schon als Jugendliche entschieden, dass ich kein Fleisch mehr essen will, aus ethischen und Klima-Gründen. Das ist zwar ein Klischee, aber wenn ich gefragt wurde, warum ich kein Fleisch esse, habe ich dann gerne Auskunft gegeben (lacht). Das hat für mich gestimmt. Und dann bin ich mit Anfang 20 in feministischen und queeren Bewegungen aktiv geworden.
Du sagst ja: Was man selbst als Person macht, ist wichtig, aber es ist auch wichtig, dass es in der Politik vorwärts geht.
Es wird oft gesagt: Die, die wollen, sollen halt vegan essen oder nicht mehr fliegen. Wir lösen die Klimakrise aber nicht damit, dass ich alleine jetzt keine Plastikstrohhalme mehr brauche! Man kann die Klimakrise nicht individuell lösen. Das Individuum hat gar nicht die Ressourcen, perfekt zu leben. Hier ist es wichtig, dass man wählen und abstimmen geht. Und: Wenn man schon sagt, dass man individuell schauen sollte, dann sollte das klimagerechte Handeln einfach und bezahlbar sein. Man kann sich nicht überall dauernd einlesen. Es braucht Informationen, die der Staat zur Verfügung stellen sollte. Man muss auch bei den riesigen Konzernen ansetzen, die viel CO2 ausstossen. Es sollte nicht darum gehen, dass Firmen möglichst viel Profit machen, sondern darum, dass alle ein lebenswertes Leben führen können.
Du bist im Gemeinderat in Zürich. Dort hast du ein Postulat eingegeben, das Lebensräume für Tiere ausbauen will, z.B. Nisthilfen oder andere «Kleinstrukturen».
Biodiversität in der Stadt ist für mich ein grosses Thema. Es geht mir darum, dass man beim Bauen schon mitdenkt, wie man Biodiversität einbauen kann. Wie kann man einen Asthaufen integrieren? Wo hat es Platz für Bäume? Die Stadt ist für viele Tiere ein wichtiger Lebensraum geworden. Das ist ja auch sehr spannend: Was wir als ländlich bezeichnen, wird oft als Agrarfläche benutzt, dort hat es weniger Biodiversität als in den Städten. Es stimmt also nicht, dass es in den Städten sowieso keine Tiere hat. Man kann also bei Neubauten mitdenken und bei bestehenden Bauten nochmals anschauen.
Was passiert nun mit dem Postulat?
Ein Postulat ist ein Prüfauftrag an den Stadtrat, also an die Regierung der Stadt Zürich. Dieser hat dann zwei Jahre Zeit zu schauen, ob und wie er es umsetzen kann. Cool ist bei diesem Postulat, dass es einstimmig vom Gemeinderat überwiesen wurde. Alle Parteien haben zugestimmt. Das zeigt, dass es Bereitschaft gibt für Veränderung und dass das Thema wichtig ist. Der Ball liegt nun beim Stadtrat.
Mit dem Postulat katapultierst du die Stadt Zürich also in unsere «Vision tierfreundliche Schweiz». Dort kommt tierfreundliches Bauen ja auch vor.
Das habe ich sehr cool gefunden in der Vision! Dass ihr gesagt habt: Wenn Tiere in der Stadt leben, schaut man, warum sie das tun, und man ermöglicht ihnen das. Aber dass man auch schaut: Muss man am Wald etwas ändern?
Was ist dir sonst vom Projekt «Vision tierfreundliche Schweiz» geblieben?
Es ist eine tolle Webseite! Ich fand sie sehr zugänglich und es hat Spass gemacht, sich durchzuklicken. Wenn ich eine Zukunftsvision kreieren würde, käme sehr viel von der Vision da rein. Mir ist richtig positiv aufgefallen, dass beachtet wird, dass Sensibilisierung wichtig ist. Menschen sollen selbst entscheiden können – und die Menschen in der Zukunft wissen, woher ihr Essen kommt. Spannend fand ich, dass ihr Laborfleisch reingenommen habt, oder das Zusammenleben mit Wildtieren, die Förderung der Biodiversität oder die Mobilität. Positiv ist auch, dass ihr zeigt, wie eine Gesellschaft zukunftsgerichtet und klimagerecht lebt. Was ich lustig gefunden habe: Dass Hunde im Bundeshaus zurzeit verboten sind, das habe ich nicht gewusst (lacht). Es ist auch cool, dass ihr die Windkraft thematisiert habt, obwohl das ein heisses Eisen ist. Und ihr dann lösungsorientiert gesagt habt, dass man hier z.B. mit Sensoren arbeiten kann.
Ich freue mich, dass dir das Projekt so gefällt. Was ist deine Vision für eine Schweiz in 50 Jahren?
Ich finde es wichtig, dass wir alle ein lebenswürdiges Leben führen, auch die Tiere. Wir müssen unserer Umwelt Sorge tragen und die Menschen vor Gewalt und Diskriminierung schützen. Ich will in einer gleichgestellten und solidarischen Gesellschaft leben. Es braucht auch einen massiven Ausbau der erneuerbaren Energie und wir müssen klimaneutral werden. Kreislaufwirtschaft soll das sein, wonach wir wirtschaften. Sensibilisierung und Angebot müssen viel stärker dahin gehen, dass wir klimagerecht leben sollen. Extrem wichtig finde ich auch den weiteren Ausbau des Tierschutzes und der biologischen Landwirtschaft. Viele Antworten haben wir schon. Man darf auch auf die Technologie vertrauen, da wird es nochmals vorwärts gehen.
Du bist Mitglied bei Animal Rights Switzerland. Hast du eine Kampagne, die dir besonders geblieben ist?
Ich finde euer Design mega cool und die Art, wie ihr auftretet. Was mir sehr geblieben ist, ist die Kampagne, die ihr gemeinsam mit Campax gemacht habt zum Importstopp von tierquälerischen Pelzprodukten. In der Schweiz sind Pelzprodukte einfach nicht nötig. Die Kampagne war realitätsnahe und sinnvoll.
Da gebe ich das Kompliment gerne auch weiter an Campax. Das war eine super Zusammenarbeit. Der Nationalrat hat es ja auch angenommen.
Ja genau! Ich fand die Kampagne super gemacht, sie war mit der Motion und der dazugehörigen Petition gut orchestriert.
Und dann wurde die Vorlage vom Ständerat abgelehnt. Leider klappt nicht alles, was sich die Bewegungen vornehmen. Wie motivierst du dich?
Verschiedenes: Zum einen finde ich es mega beeindruckend, dass es so viele verschiedene Aktivist:innen gibt. Der gemeinsame Einsatz in verschiedenen sozialen Bewegungen finde ich motivierend. Man kann sich auch an kleinen Schritten freuen. Zum Beispiel, wenn ein Postulat weiterkommt. Auch im Kleinen kann etwas für viele Menschen oder Tiere einen Unterschied machen. Etwa, dass es immer mehr Menschen gibt, die fleischlos leben. Zusammen können wir etwas erreichen. Ich habe auch viele tolle Menschen in meinem Umfeld, Freund:innen, die mich unterstützen, das ist sehr viel wert und motiviert extrem.
Tierliebe geht durch den Magen. Was kommt bei dir aktuell am liebsten auf den Teller?
Ich ernähre mich möglichst vegan. Und ich esse am liebsten saisonales Gemüse, möglichst Bio. So koche ich dann jeweils Gemüsepfannen, das ist das Feinste. Am liebsten mit etwas Sojasauce. Und ich finde es spannend zu sehen, was gerade Saison ist. Hm, Kohl, ja was mache ich mit dem (lacht)? Das wissen wir ja alle, die kein Fleisch essen: Vegetarisch ist wirklich einfach möglich, vegan mittlerweile auch. Das hat sich sehr verändert. Vor 16 Jahren, als ich vegi wurde, war es mega schwierig. Heute ist es einfacher und es macht auch Spass.
Letzte Frage: Stellen wir uns vor, du wirst gewählt! Was nimmst du am ersten Tag mit in den Nationalratssaal?
Motivation. Ganz viel Motivation. Meine Agenda und einen Vogel-Pin!
Danke für deine Zeit! Wir drücken dir die Daumen.
Anna-Béatrice Schmaltz ist im Kanton Zürich auf Liste 3, Platz 6. Neben ihr kandidieren noch andere tierfreundliche Politiker:innen in Zürich und wir empfehlen Meret Schneider (bisher, Liste 3 Platz 5) dringend zur Wiederwahl. Tierfreundliche Kandidat:innen in deinem Kanton findest du auf der neuen Plattform TierPolitik Schweiz. Die Nominierten sind ab dem 9. Oktober auf der Plattform einsehbar.