«EINE FRAGE IST EIN STARKES INSTRUMENT»
13.11.2020
Der Zürcher Schriftsteller Thomas Meyer wurde bekannt für den Erfolgsroman «Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse». Jetzt hat er etwas ganz anderes geschrieben: Tierschutz-Plakate. Im Interview erzählt er, wie es zur Kampagne «Was sehen Sie hier?» kam und wie sich seine eigene Einstellung zu Tieren verändert hat.
Nico Müller (Animal Rights Switzerland): Wie bist du auf die Idee und die Sujets für unsere Kampagne gekommen?
Thomas Meyer: Bei der Kampagne geht es um die innere Haltung gegenüber Tieren. Fragen sind in meinen Augen ein sehr starkes Instrument. Man muss sie einfach beantworten. Gleichzeitig thematisiert die Kampagne populäre Produkte wie Speck, auf dessen Verpackung ein glückliches Schwein zu sehen ist. Das ist aber nicht die Realität.
Und welche Antworten erwartest du vom Publikum auf die Frage «Was sehen Sie hier»?
Es geht nicht um eine bestimmte Antwort. Wichtig ist, dass man sich vor Augen führt, dass wir gegenüber Tieren eine bestimmte Geisteshaltung haben. Und dass diese Geisteshaltung wahrscheinlich von unseren eigenen Idealen wie eben der Tierliebe abweicht. Wichtig ist als erster Schritt, dass sich alle die Frage überhaupt einmal stellen. Eine Frage zu stellen, wirkt auch mehr als Schockbilder. Wir müssen nicht dozieren und den Leuten ein schlechtes Gewissen einreden. Damit erreicht man nichts. Es braucht ein Umdenken, und das müssen wir über Anregungen herstellen. Möglichst freundliche. Es ist wichtig, dass sich die Leute mal bewusst entscheiden, wie sie Tiere sehen wollen. All das zusammengenommen führt zu dieser Kampagne.
Du sprichst die Entscheidung an, wie wir Tiere sehen wollen. Die trifft man ja nicht nur einmal, sondern immer wieder.
Ja, ich selber habe mich auch einst anders entschieden. Es gab Zeiten in meinem Leben, da hatte ich viermal in der Woche Besuch. Auf dem Tisch stand immer eine Flasche Wein, dazu habe ich am liebsten «Scaloppine al Limone» gekocht, also Kalbsschnitzel. Es war mir bewusst, dass für dieses Gericht ein Kalb sterben musste. Das habe ich aber nicht weiter hinterfragt. Wenn mir damals jemand so ein Plakat gezeigt hätte, wäre mir schneller klar geworden: Fleisch ist eine Wahl. Man kann sich auch anders entscheiden.
Sind sich hier Fleisch und Pelz ähnlich? Man weiss schon, dass dafür ein Tier stirbt, nur denkt man beim Kauf nicht daran?
Der Unterschied ist, dass es beim Pelz noch offensichtlicher ist, dass er mal zu einem Tier gehört hat. Ein Schnitzel auf dem Teller oder in der Verpackung ist «ent-tiert», es ist ein Material. Beim Pelz schreckt man schneller zurück, weil er aussieht wie ein Lebewesen.
In deinen Büchern schreibst du oft über Aussenseiterfiguren. Kommt daher dein Interesse an Tieren? Sind sie für dich auch Aussenseiter?
Ich kann selbst nicht so recht erklären, wie ich meine Themen wähle. Das ist, als ob man dich fragt, warum du mit genau diesen Leuten befreundet bist statt mit anderen. Das funktioniert eher intuitiv, nicht nach einem vorgefassten Plan.
Wie kam es dann dazu, dass du dich für Tiere einsetzt?
Vor einigen Jahren habe ich mich über die plötzlich wieder populär gewordene Pelzmode aufgeregt und mich zu informieren begonnen. Und wer Videos aus Pelzfarmen anschaut, landet auch bald bei solchen aus Schlachthöfen. Da musste ich mich selbst an der Nase nehmen: Pelz finde ich schlimm, aber Fleisch soll okay sein? Das ging nicht auf.
«Pelz finde ich schlimm, aber Fleisch soll okay sein? Das ging nicht auf.»
– Thomas Meyer
Du hast also ein Denkmuster vom Pelz auf Fleisch übertragen: Hinter beidem steckt Gewalt an Tieren, und auf beides kann ich getrost verzichten.
Ja. Beim Pelz ist der Schritt natürlich auch ziemlich einfach. Es tut nicht weh, keinen Pelz in der Garderobe zu haben. Hatte ich auch nie. Bei Lebensmitteln fällt die Umstellung schwerer. Hinzu kommt, dass ich über viele Lebensmittel zu wenig informiert war. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Kühe nur Milch für ein einziges Kalb geben. Oder dass sie deshalb dauerschwanger gehalten und schon nach vier bis fünf Jahren getötet werden. Da war ich auch das Opfer der Werberomantik für Tierprodukte.
Das zeigt, wie wichtig es ist, dass wir Aufklärungsarbeit leisten. Wir tun das ja zum Beispiel mit unseren Info-Flyern, auch zum Thema Milch.
Ja. Man braucht die Information, was genau mit Tieren getan wird. Und dann muss man sich fragen: Hatte dieses Tier nicht etwas anderes vor, als mit Elektroden am Kopf zu sterben? Wer bin ich eigentlich, dass ich das entscheiden kann? Das ist eine furchtbare Anmassung. Und darum geht es in der Diskussion ja eigentlich: um uns selbst. Wie laufe ich da draussen rum? Bin ich ein König, dem alles gehört? Darf ich entscheiden, wer Haustier ist, wer Nutztier? Das sollten wir uns gut überlegen. Wir sind sehr überheblich.
Was für einen Beitrag wünschst du dir hier von Animal Rights Switzerland?
Ich finde euren Ansatz sehr klug. Er ist unaufgeregt und unaggressiv. Ihr zielt nicht auf Schock und schlechtes Gewissen ab, sondern seid sachlich und dabei sympathisch. Das beginnt schon beim visuellen Auftritt. So kann man die Informationen gut entgegennehmen. Man sieht: Das sind Leute, die Tiere gern haben, so wie ich auch. Und alles, was sie wollen, ist dass es den Tieren besser geht. Sie wollen mir nichts wegnehmen oder mich zu etwas überreden, das ich nicht will. Aktuell essen die meisten Leute Fleisch und trinken Milch. Und wir haben kein Gesetz, das eine schlechte Behandlung von Tieren effektiv verbietet. Wir stehen also noch ganz am Anfang. Darum wünsche ich mir von Animal Rights Switzerland, dass ihr weiterhin sagt: Hey, hier läuft etwas schief in unserem Umgang mit Tieren. Es geht auch anders.
Vielen Dank für deine Zeit, Thomas!